Mission abgebrochen

Mission abgebrochen

Ich liebe Andy Weirs Marsianer und habe das Buch im Grunde an einem Stück gefressen. Ein Mann, ein Planet – Mist, ich will irgendwie überleben. Vom Nachfolger Artemis habe ich dann schon die Finger gelassen, weil er sehr sehr schlecht bei den Kritiken weggekommen ist. Story zu platt, Charakter nervig. Nein, danke, ich lese ja hauptsächlich weil ich unterhalten werden will und nicht um mich aufzuregen. Deswegen war ich jetzt bei „Der Astronaut“ auch vorsichtig und froh drum, dass meine Frau den aus der Bibliothek mitgebracht hat. Auch wenn die ersten Reviews das Buch geradezu über den grünen Klee gelobt haben. Aber dazu später mehr.

Die Story

Es ist halt immer das Selbe: Die Erde ist dem Untergang geweiht und irgendwer muss den Karren aus dem Dreck ziehen. Dieses Mal trifft es den ehemaligen Wissenschaftler und jetzt High School Lehrer Ryland Grace, der am Anfang des Buches nicht mal weiß wer er ist. Er wacht nämlich irgendwo auf, ist verkabelt und ein Computer stellt ihm dumme Fragen. Ziemlich schnell stellt er fest, dass seine einzigen Gefährten zwei Mumien sind, die wohl nicht so viel Glück hatten wie er.

Amnesie im Weltall

Dass sein Kopf nicht mitspielt, ist natürlich erstmal sehr hinderlich. Der Leser wird aber genauso schnell schlauer wie er, da sich Grace seine Erinnerungen mit Flashbacks zurückerarbeitet. Dabei sagt er selber, dass er nicht weiß wie er die triggern kann und so kommen seine Erinnerungen im passenden Moment in chronologischer Reihenfolge zurück. Kurzfassung: Die Welt ist mal wieder am Rande des Untergangs. Dieses Mal ist nicht die Menschheit Schuld sondern kleine Weltraumalgen, die ähnlich aufgebaut sind wie irdische Zellen und die Sonne anknabbern und somit die Welt in eine Eiszeit zu stürzen drohen.
Die Wissenschaft stellt aber fest, dass es überall im Universum wohl so ist. Außer auf Tau Ceti. Und da muss jetzt mal jemand schauen gehen. Dumm, dass Tau Ceti fast 12 Lichtjahre entfernt ist…
Da wacht unser Held also auf und versucht heldenhafte Dinge zu machen.

Abbruch! Abbruch!

An sich gäbe die Story viel her. Mensch alleine im Weltall, hoffnungslos jemals die Erde wieder zu sehen, seltsame Alienalgen, die Sonne futtern!
All die Punkte vergibt Andy Weir nach meinem Geschmack und haben dann dazu geführt, dass ich das Buch nach 300 der 500 Seiten abgebrochen habe. Und froh war, dass meine Frau es aus der Bibliothek mitgebracht hat und ich clever genug war, es nicht zu kaufen. Es war auch nicht der eine Punkt, der für mich das KO war, sondern eine ganze Reihe von Punkten.

Der Held

Der offensichtlichste Punkt ist der Held selber. Ryland Grace ist der Erzähler der Geschichte und ich habe es nicht geschafft über die 300 Seiten irgendeine Bindung zu ihm aufzubauen. Trotz Amnesie stelle ich es mir mittelmäßig traumatisierend vor, wenn du feststellst, dass du 12 Lichtjahre von der Erde entfernt bist und alleine in einem Raumschiff, weil deine beiden Partner es nicht geschafft haben und als Mumien, wer weiß wie lange, rumliegen. Nicht so Grace: Nachdem er sich erinnert wer sie sind, Luftschleuse auf und raus. Wenig emotional und auch ohne dass man einen Moment merkt, dass ihm seine Situation zu schaffen macht. Ich habe nicht mal rausgelesen, was sein Antrieb ist. Also abgesehen von der Tatsache, dass er wohl genetisch auserkoren ist, so einen Weltraumschlaf zu überleben. Warum also macht er da draußen weiter? Heldenmoment, die Erde retten zu wollen? Persönliche Bindung zu jemand auf der Erde? Oder, und das Gefühl hatte ich, der Autor braucht da draußen jemand der die Knöpfe drückt und minimal cleverer ist, als der Computer der ihn geweckt hat? Letztlich ist er nur ein High School Lehrer/Ex-Wissenschaftler, der sich mit einem Papier bei seinen Kollegen unbeliebt gemacht hat. Wenn das, und eine genetische Besonderheit, reicht um sich als Retter der Erde zu qualifizieren…

Das Storytelling

Dann wäre da die Sache mit den Flashbacks. Nettes Gimmick um die Amnesie zu lüften. Doof, dass die Flashbacks anlassunabhängig, in chronologischer Reihenfolge und genau im richtigen Moment kommen, um DAS Puzzlestück hinzuzufügen, was genau in diesem Moment gebraucht wird. Ich bin kein Neurowissenschaftler oder Psychologe, aber Erinnerungsfragmente werden bei mir immer durch irgendwelche externen Faktoren ausgelöst: Musik, Gerüchte, Orte. Wenn ich mal wieder vergessen habe, warum ich in der Küche stehe, dann hilft es meistens nochmal drei Schritte zurück zu gehen. Und auch da halten sich die Erinnerungen nicht an die Chronologie. So wirken die Flashbacks sehr gewollt und eingeschoben ohne dass es in der Story als eine Einheit wirkt.

Ähnlich wie beim Marsianer besteht die Story, zumindest bis zu dem Punkt, an dem ich aufgegeben habe, aus einem einfachen Muster: Problem – Lösung – Problem – Lösung. Weder in den Flashbacks noch in der Gegenwart gibt es einen Punkt an dem es keine Lösung für das Problem gibt. Nicht mal Sprachbarrieren sind hier ein Problem. Ein Glück, dass die Rassen im All alles so kompatibel sind. Rückblickend wünschte ich, irdische Sprachen würden mir so zufliegen, dass ich tausende neue Wörter an einem Tag lernen kann.

Mir hat sich die Logik auch nicht ganz erschlossen. Er fliegt 13 Jahre, was im Buch irgendwann in der Mitte erwähnt wird, nach Tau Ceti, hat aber zur Kommunikation nichts weiter an Bord als interstellare Rohrpost, die auch wieder 13 Jahre zurück braucht. Wie schnell sich die Welt ändern kann, haben wir in den letzten zwei Jahren erlebt. Am Ende braucht es die ganze Rettungsaktion vielleicht gar nicht, weil sich die Menschheit durch Krieg, Hunger und Seuchen eh schon ausgerottet hat. Jeglicher heldenhafter Tod in einer fernen Galaxie wäre also voll für die Tonne. Gut, Grace würde es nicht mitbekommen, sondern einfach langsam sterben wenn die Systeme ausfallen. Oder sich ins All pusten. Oder die erste extraterrestrische Kolonie in Tau Ceti gründen. Letzteres wäre noch ein sehr kreativer Ansatz.

…warum dann Abbruch?

Alles in allem kam so mit dem Held, der für mich fehlenden Motivation und der sehr drögen Erzählweise einfach kein Fluss auf. Ich wurde nicht in die Story gesaugt und mir war eigentlich auch egal, was mit Held und Erde passiert. Ich lese Bücher um Spaß zu haben und nicht um stundenlang trockenes Wissenschaftsgeblubbert zu lesen. Ja, ich habe verstanden, du hast für dein Buch recherchiert. Aber soll das Unterhaltung werden oder ein Fachaufsatz darüber wie man die Erde im Falle von Weltraumalgen retten kann? Mir ist meine Zeit also zu Schade, um mich da durchzuquälen. Und ich bin normalerweise bei sowas echt hart mit mir selber. Allein schon in der Hoffnung, dass es doch noch besser wird.

Die Sache mit den Reviews

Schaut man dann bei Goodreads rein, kommen einem schon Zweifel, ob man zu blöd ist, das Buch zu verstehen, wenn es nur so fünf Sterne Bewertungen hagelt. Den Reviews nach hatte ich gerade das fanatischste Buch der Welt verpasst. Nur selten schimmerten Mal die Punkte durch, die ich zu kritisieren habe. Was mir dabei aber schnell aufgefallen ist waren Sätze ähnlich wie dieser

Vielen Dank xy dass ich vorab ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen habe!

Vielleicht bin ja gar nicht ich doof, sondern der Verlag hat einfach massiv Bücher vorab unter die Leute geschmissen, gepaart mit dem „Wunsch“ doch eine positive Rezension zu verfassen. Natürlich positiv, man möchte ja wieder ein kostenloses Buch in der Zukunft und nicht auf der Blacklist landen. Ob das so auch beim deutschen Verlag passiert ist, kann ich nicht sagen.
Vielleicht bin ich nach anderthalb Jahren Pandemie einfach durch mit innovativen Erzählansätzen und Ideen. Oder erwachsen und langweilig.

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